
Anerkennung statt Lob: Erfolgsfaktor Empathie
Kaum eine Stellenanzeige kommt heutzutage ohne die Forderung nach Empathie aus. Sie ist eine Schlüsselkompetenz und kann im Unternehmenskontext über das Wohl und Übel entscheiden.
Umfragen unter den Mitarbeiter:innen deutscher Unternehmen bescheinigen unserer Arbeitswelt einen regelrechten Lobnotstand. Nirgendwo beklagen sich Mitarbeiter:innen mehr über die fehlende Menschlichkeit im Unternehmensalltag als in Deutschland. Dabei ist es längst keine neue Erkenntnis mehr, dass jeder Mensch für ein glückliches Leben Anerkennung, Aufmerksamkeit und Liebe braucht. Wissenschaftliche Experimente mit Säuglingen haben gezeigt, dass Kinder im Kleinkindalter ohne Aufmerksamkeit und Zuwendung nicht überleben können. Der Aufmerksamkeit wird sogar eine größere Bedeutung beigemessen als der Art der Unterkunft und der Verfügbarkeit von Nahrung.
Während Deutschland international als industriell fortschrittlich gilt, scheint es hierzulande deutlich an der zwischenmenschlichen Nähe zu fehlen. Der persönliche Kontakt wurde im Arbeitsalltag an Instrumente abgegeben. Online-Mitarbeiterbefragungen und Leistungsbeurteilungen von der Stange weichen dem bilateralen, zwischenmenschlichen Austausch und dem Umgang miteinander. Sie erzeugen so einen instrumentellen Umgang mit dem Menschen. Spezifische und spontane Menschlichkeit wird in Unternehmen aus Effizienzgründen vermieden. Eine Scheinmenschlichkeit, die keinesfalls die nötige persönliche Aufmerksamkeit und Anerkennung ersetzen kann, ist bereits Alltag.
Führen über Distanz
Auch durch die Führung auf Distanz über Online-Kanäle optimieren wir die immer knapper werdende Zeit im Arbeitsalltag. Der Preis, den wir hierfür allerdings bezahlen, heißt mangelnde Bindung, Nähe und Zugehörigkeit zu unserer Arbeit, unseren Kolleg:innen oder
dem Arbeitgeber. Die Mitarbeiter:innen sind unzufrieden, unmotiviert, unproduktiv oder kündigen dem Unternehmen.
Ein Großteil der älteren Mitarbeiter:innen hat bereits lange innerlich gekündigt und die gefragte junge Generation scheut keinen Arbeitgeberwechsel. Wie können wir dem als Führungskraft entgegenwirken? Das Stichwort heißt Empathie. Wie aber wirkt die vielgelobte, wichtigste Kompetenz einer Führungskraft von Heute?

Was ist Empathie?
„Freude an der Freude und Leid am Leid des Anderen, das sind die besten Führer der Menschen.“
(Albert Einstein)
Die Empathie wird als die Fähigkeit verstanden, an den Emotionen einer anderen Person teilzuhaben und sie dadurch zu verstehen. Die Empathie ist ein Kompass. Sie navigiert den Umgang mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen. Klarheit entsteht, wenn wir uns in die emotionale Situation eines Mitmenschen hineinversetzen können.
Das Verhalten des Gegenübers wird nachvollziehbarer und sorgt für Orientierung, die wiederum einen authentischen und präsenten Umgang ermöglicht.
Laut dem US-amerikanischen Ökonomen Jeremy Rifkin ist die Empathie ein Entwicklungsprozess hin zu einer, der zentralsten Fähigkeiten des Menschseins in der Abgrenzung zu anderen Säugetieren. Denn aus der Empathie kann Mitgefühl erwachsen. Das Mitgefühl ist eine Lebenshaltung, bei der man sich selbst und seine Mitmenschen erkennt und annimmt, wie sie sind, ohne Manipulation, ohne Überheblichkeit und ohne Be- oder Abwertung. Sie lässt uns darüber reflektieren, dass die Probleme, die uns gerade das Leben erschweren, in der einen oder anderen Form auch andere Menschen treffen, und dass — ganz allgemein gesprochen — jeder Mensch schwierige Phasen durchmacht.
Wie lebe ich Empathie im Alltag?
Um Empathie auch tatsächlich im Alltag leben zu können, haben sich die folgenden vier Schritte als hilfreich erwiesen:
- Sich über sich selbst klar sein.
- Den anderen ernst nehmen.
- Die eigene volle Aufmerksamkeit der anderen Person schenken.
- Sich Zeit für den anderen nehmen und aufmerksam zuhören.
Was sich zunächst klar und kompakt zusammenfassen lässt, ist zumeist das Resultat eines längeren Entwicklungsprozesses. Instrumente wie Achtsamkeitstraining oder Meditation gewinnen nicht nur deshalb an Popularität in Unternehmen.
Empathie kann heilen
Das durch Empathie entstehende Mitgefühl stärkt den Körper und die Seele und macht psychisch robuster. Offen und einfühlsam zu sein, wirkt sich auf nahezu alle Organe und Körpersysteme positiv aus. Entzündungsreaktionen, die bei vermehrtem Stress häufiger entstehen, treten seltener auf oder haben die Möglichkeit abzuheilen.
Empathie macht die Kommunikation im Unternehmen lebendig. Sie vereint die Organisation und ist eine der notwendigen Säulen bei den gerade an Popularität gewinnenden Transformationsvorhaben wie „New Work“.
Nichts wirkt nur einseitig. Eine Führungskraft, die versucht, Empathie zu entwickeln , muss auch lernen sich von fremden Emotionen abzugrenzen. Das bedeutet aber nicht, sich von eigenen oder fremden Emotionen abzuschneiden. Nicht selten kann ein sehr ausgeprägtes Einfühlungsvermögen dazu führen, dass sich Betroffene ausgenutzt fühlen oder tatsächlich auch ausgenutzt werden.

Empathie und Anerkennung
Viele Konzernmitarbeiter beklagen immer wieder abgedroschene, unglaubwürdige und roboterhafte Phrasen ihrer Vorgesetzten. Ernstgemeintes Lob oder notwendige Wertschätzung verpuffen und können sogar einen gegenteiligen Effekt haben. Wer in der heutigen, digital-geprägten Zeit sicherstellen will, dass seine
Anerkennung nicht zur Phrasendrescherei verkommt, ist gut beraten, einen empathischen, menschlich-warmen Umgang auf Augenhöhe zu suchen.
Der Anerkennende beurteilt sein Gegenüber nicht, sondern äußert seinen positiven Eindruck von spezifischen Verhaltensweisen oder Handlungen. Die Anerkennung kann immer bilateral gegeben werden. Dies ist das Markenzeichen eines Austausches auf Augenhöhe: Er ist umkehrbar!
Die Anerkennung ist empathisch und ehrlich, denn sie bringt dem Empfänger auch immer einen Informationsgewinn — im Gegensatz zum Lob, welches beispielsweise platte Floskeln wie „gut gemacht‘‘ oder ein Schulterklopfen beinhaltet. So hat der Empfänger die Möglichkeit, sich tatsächlich persönlich wertgeschätzt zu fühlen. Er kann aus der Anerkennung für seine berufliche oder persönliche Entwicklung lernen.
„Lob will manipulieren, fremdsteuern, jemand anderen dazu bringen, etwas zu tun, das dem Lobenden nützt.“
Quelle: Fachmagazin „Personalführung“ (Ausgabe September 2006). Das Interview führt Thomas Hartke (S.30 – 37)
Im Gegensatz zur Anerkennung konterkariert Lob die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung des anderen. Lob wird manipulativ eingesetzt und hat negative Konsequenzen. Die irreführende Sprachmünze des Lobs führt zu wenig Aufmerksamkeit. Stattdessen kann durch die Anerkennung eine Wertschätzung auf der persönlichen Ebene erreicht werden, die von Respekt, Vertrauen und Nicht-Einmischung geprägt ist. Dafür muss die Führungskraft allerdings einen Blick auf sich selbst richten, sich selbst beobachten und sich richtig einschätzen.
Anerkennung im Berufsalltag leben
Anerkennung lässt sich im Alltag an folgenden Indizien erkennen. Sie ist ausschließlich:
- positiv
- wertschätzend
- konkret
- spezifisch
- unmittelbar
- echt
- ehrlich
- empathisch.
Das oftmals viel beschworene „Sandwich-Feedback‘‘ ist für zielführende Anerkennung leider psychologisch höchst ineffizient. Beim Sandwich-Feedback werden positive Floskeln genutzt, um kritische Anmerkungen einzuhüllen. Dabei überhört der Empfänger meist das positive Feedback, weil seine Aufmerksamkeit auf das negative fokussiert. Das negative Feedback können die meisten Menschen nicht richtig annehmen, geschweige denn umsetzen. Die Anerkennung wirkt also nur dann wirklich, wenn sie als ausschließlich positives und wertschätzendes Feedback gegeben wird. Damit die Anerkennung ein bestimmtes Verhalten verstärkt, sollten ihre essenziellen Eigenschaften beachtet werden:
- Echtheit: Ich gebe Dir Rückmeldung, weil ich es wirklich anerkennenswert finde, was Du tust.
- Ehrlichkeit: Ich sage Dir ehrlich, was ich von Deinem Verhalten halte.
- Empathie: Ich verstehe, welche Mühen Dich Dein Einsatz kostet. Mir ist bewusst, was mir Dein Einsatz bedeutet.
Die Anmerkungen sollten zeitnah auf das Verhalten folgen und konkrete Verhaltensweisen ansprechen, die anerkennenswert erscheinen.
Potential der Anerkennung
„Anerkennung macht den Menschen zu einem Menschen.“
Quelle: Fachmagazin „Personalführung“ (Ausgabe September 2006). Das Interview führt Thomas Hartke (S.30 – 37)
Durch die Schaffung einer gemeinsamen, gegenseitigen Weiterentwicklungsatmosphäre trägt die Anerkennung zur betrieblichen und persönlichen Entspannung sowie zum Wohlbefinden bei. Die gelebte Anerkennungskultur begründet eine Gleichwertigkeit auf Augenhöhe und dient als Fundament des Vertrauens. Wohingegen das Lob das hierarchische Gefälle verstärkt und eine Abhängigkeit von der Führungskraft erzeugt. Nicht selten führt dies zur Verstärkung vorhandener Probleme.
Die Anerkennung erleichtert eine wirksame Fehlerkultur. Da sie bidirektional läuft, bekommt die Führungskraft ebenfalls eine wertvolle Rückmeldung von ihren Mitarbeiter:innen und profitiert auch selbst auf mehreren Ebenen von diesem Ansatz.
Self-Check:
- Wann fühle ich mich in der Lage, meinem Gegenüber zuzuhören und emphatisch zu sein?
- Wie sieht meine Zeit gerade aus? Gestresst? Beschäftigt? Ruhig?
- Wie sieht mein persönlicher Energiehaushalt aus?
- Wie viel Interesse habe ich an meinem Gegenüber/meinen Mitarbeiter:innen?
- Was finde ich am Verhalten meiner Mitarbeiter:innen echt anerkennenswert?
- Wie gehe ich auf den Einsatz meiner Mitarbeiter:innen ein?
- Wie gebe ich hierzu eine ehrliche Rückmeldung?
- Wie oft achte ich auf die Körpersprache von Menschen?
- Wie merke ich, dass es meinem Gegenüber schlecht geht?
- Wie schwer fällt es mir, mich emotional von anderen Menschen abzugrenzen?
Literaturhinweise:
Reinhard K. Sprenger:
- Mythos Motivation – Wege aus einer Sackgasse, Campus Verlag, 20. Auflage (10. September 2014)
- Mit Lob bringt man die Freiheit um, Fachmagazin „Personalführung“ (Ausgabe September 2006). Das Interview führt Thomas Hartke (S.30 – 37)
Werner Bartens
- Empathie: Die Macht des Mitgefühls – Weshalb einfühlsame Menschen gesund und glücklich sind, Droemer Knaur Verlag, 1. Ausgabe (4. Mai 2015)
Jeremy Rifkin
- Die empathische Zivilisation – Wege zu einem globalen Bewusstsein, Campus Verlag (18.01.2010)