

Agil Führen – ein Mind-Set und kein Tool-Set
Die aktuelle Dynamik der Entwicklungen erfasst alle Branchen und Unternehmen. Wie können wir einer solchen Volatilität adäquat begegnen?
Auf der Suche nach den richtigen Antworten, um den sich stets wandelnden Anforderungen unserer Zeit entsprechend zu begegnen, wird die Agilität als ein Management-Wundermittel angepriesen. Führungskräfte, Projekte und ganze Organisationen sollen jetzt agil werden. Viele Konzepte zur Führung einer Organisation kamen und gingen, doch „Agile Leadership“ — die agile Führung — scheint sich nicht nur zu halten, sondern gewinnt immer mehr an Popularität. Was sind die Treiber? War die Welt nicht schon immer ein dynamischer Ort mit exogenen Schocks, Trendwenden und Krisen?
Die VUCA-Welt
Ein Begriff aus dem US-Militärjargon brachte die Herausforderungen unserer Zeit auf den Punkt – VUCA. Kein Wunder also, dass dieses Akronym auch in der Businesswelt schnell Fuß fasste, denn kaum ein anderer Begriff vermag die aktuelle Verdichtung des Wandels so präzise zusammenzufassen und die fortwährend beobachtbare Zunahme der Intensität, Beschleunigung und Gleichzeitigkeit auf sich zu vereinen.

So sehr wir uns auch wünschen, die Situation durch Strukturen, Modelle oder Technologie zu vereinfachen und die Variablen auf ein überschaubares Maß zu reduzieren, die bisherige Ratio allein reicht nicht mehr aus, um die VUCA-Faktoren in einem beschleunigten und verdichteten Kontext in den Griff zu bekommen. Schon lange geht es nicht mehr um die intellektuelle Beherrschung, sondern um die Adaptivität und in diesem Zusammenhang auch um den bewussten Umgang mit den emotionalen Erscheinungen der VUCA-Zeit.
Die Wege zu VUCA
- Führungskräfte und Manager:innen müssen in dieser Welt anders agieren.
- Sie sind in dieser neuen Welt als lebendige und authentische Individuen und Persönlichkeiten gefordert.
- Rollen wie der Guide, Inspirator, Host, Care Taker oder Enabler treten vermehrt in den Vordergrund.

Was bedeutet Agilität im Unternehmenskontext?
Um eine Organisation anpassungsfähig zu gestalten, müssen bisherige Denk- und Handlungsmuster hinterfragt und adaptiert werden. Hier kommt die Agilität ins Spiel. Doch was bedeutet dieses Schlagwort im Zusammenhang mit der Unternehmenssteuerung? Dazu ein Blick auf ausgewählte Definitionen:
„Agilität ist die Fähigkeit einer Organisation, flexibel, aktiv, anpassungsfähig und mit Initiative in Zeiten des Wandels und Unsicherheit zu agieren.“
(Onpulsion Wirtschaftslexikon)
„(…) an effective integration of response ability and knowledge management in order to rapidly, efficiently and accurately adapt to any unexpected (or unpredictable) change in both proactive and reactive business/customer needs and opportunities without compromising with the cost or the quality of the product/process.“
(Ganguly, Nilchiania & Farr, 2009)
Die Umsetzung der hier beschriebenen schnellen und adaptiven Reaktion auf unvorhersehbare Umweltveränderungen bedarf eines neuen Management-Verständnisses. Starre Machtgebilde, Mikromanagement und linear planbare Unternehmensabläufe müssen neuen Formen der Zusammenarbeit weichen.
Agiles Manifest (2001)
„Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durch diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt:
- Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge
- Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation
- Zusammenarbeit mit den Kund:innen mehr als Vertragsverhandlungen
- Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans
Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein.“
Während beide Seiten der Ungleichungen absolute Wichtigkeit und Relevanz für ein Unternehmen aufweisen, misst die agile Führung den Werten auf der jeweils linken Seite einen höheren Stellenwert zu, um in der VUCA-Welt erfolgreich bestehen zu können.
Hieraus wird bereits klar, dass die Umsetzung wahrhaftiger Agilität und agiler Führung kein Spaziergang ist. Einige Großkonzerne tun sich auch nach vielen Jahren immer noch schwer, agile Führung als ein neues Mindset, einen holistischen Ansatz zu begreifen. Leider führen solche Erfahrungen dazu, dass die bloße Erwähnung einer agilen Arbeitsweise mancherorts Ressentiments auslöst.

Agilität – eine ausgelutschte Worthülse?
Agilität ist heute in vielen Unternehmen ein missverstandener Begriff. Man reduziert den Ansatz auf die Methodik. So wird beispielsweise „Scrum“ mit Agilität gleichgesetzt. Prozessveränderungen werden unter Effizienzgesichtspunkten betrachtet, wohingegen agile Strukturen eigentlich auf Effektivitätssteigerungen abzielen.
Demnach bedeutet, agil zu führen, nicht bloß, eine höhere Produktivität von den Mitarbeitern zu fordern, sondern diese zum eigenverantwortlichen Arbeiten zu ermächtigen. Vertrauen ist die Basis für eine agile Zusammenarbeit. Es ist eben das Vertrauen in die Kreativität der Mitarbeiter:innen, die für die notwendige Verlagerung von Verantwortung notwendig ist. Ein Unternehmen kann die Herausforderungen unserer Zeit nutzen, um in verschiedenen Dimensionen organisch zu wachsen. Hierfür müssen Entscheidungs- und Handlungsspielräume geschaffen werden. Eine adaptive, schnelle und insbesondere kreative Reaktion kann sich nun mal nicht in engen Leitplanken auf Knopfdruck entfalten.
Wie kann die Transition hin zum agilen Handeln in einem Unternehmen gelingen? Was sind die Anforderungen an die Führungskompetenzen im agilen Umfeld?

Agile Führung
Das beste Vorbild für eine wahrlich agile Führung zeigt uns unser Gehirn. Es passt sich blitzschnell an neue Gegebenheiten an und arbeitet kooperativ statt kompetitiv. Die Amygdala ist nicht wichtiger als der Frontallappen, und es kommt nicht so sehr auf die Anzahl der Nervenzellen in einem Bereich an, sondern auf ihre Verknüpfung miteinander. Wer schon einmal sportliche Bewegungsabläufe trainiert hat, weiß, wie wichtig die richtige neuronale Verknüpfung ist, um eine schnelle Reaktion auf eine Situation auszulösen. Die auftretenden Situationen lassen sich unmöglich vorhersagen.
Die Verknüpfungen aber kann ich trainieren. Taucht dann spontan eine Herausforderung auf, organisiert sich das Gehirn flexibel und reagiert individuell auf die vorliegende Situation.
Bestimmte Qualitäten können also die richtigen Rahmenbedingungen für agiles Verhalten schaffen:
- Kompetenzerhöhung: Hierunter fällt die Ermächtigung (engl.: Empowerment) der Mitarbeiter:innen den sich ihnen stellenden Herausforderungen eigenverantwortlich zu begegnen. Dies ist zumeist das Resultat langfristiger proaktiver Personalentwicklung gepaart mit einer nachvollziehbaren und emotional bindenden Kommunikation über die strategische Vision des Unternehmens.
- Schnelligkeit: Die umgehende Reaktion nicht nur auf Marktveränderungen, sondern auch auf Mitarbeiteranliegen, sowie konsequentes, zeitnahes Feedback sind von kritischer Bedeutung.
- Flexibilität: Offenheit für Veränderungsvorschläge aller Ebenen und Prozesse. Basis dafür ist das permanente Hinterfragen des Status quo. So werden unkonventionelle Lösungswege überhaupt erst möglich.
- Reaktionsfähigkeit: Um auf identifizierte Veränderungen rasch reagieren zu können, bedarf es der Handlungsfähigkeit auch unter Unsicherheit. Reaktionsfähigkeit ist zumeist das Resultat aus den vorhergehenden Qualitäten und bedarf des Vertrauens gepaart mit der Ausstattung aller Ebenen mit den notwendigen Kompetenzen.
Die Führungskraft erfindet sich in diesem Konstrukt ebenfalls neu und nimmt auch an dem eigenen Verhalten Adaptionen vor. Sie muss lernen, den Mitarbeiter:innen wirklich auf Augenhöhe zu begegnen, sie ernst zu nehmen und verstärkt die Beziehungsebene zu pflegen. Mehr Entscheidungsfreiheit und mehr Ermächtigung, lauten die Schlagwörter.
Auf Wiedersehen, „Top-down“-Sichtweise
Die agilen Herangehensweisen wie etwa das Experimentieren, das Entwickeln von Prototypen, Retrospektiven oder die „Stand-up“-Meetings verpuffen, wenn der Rahmen selbstständiges und eigenverantwortliches Arbeiten nicht explizit fördert. Gemeinsame Planung gehört genauso zum agilen Repertoire wie eine offene Kommunikation und differenziertes, gegenseitiges Feedback.
Wer als Führungskraft Agilität einfordert, muss sich von der „Top-down“-Sichtweise verabschieden und notwendige Informationen vorbehaltlos teilen, eine offene Feedback-Kultur vorleben und den Mitarbeiter:innen auf Augenhöhe begegnen. So können Räume zur Entfaltung von Kreativität geschaffen werden — das Fundament für schnelle und adäquate Anpassung auf die sich ständig ändernden Rahmenbedingungen. Vertrauen und Verantwortung können ihren Weg durch die Hierarchie finden und diese sogar langfristig umgestalten.
Agilität als interne Transformationskraft
Aktuelle Transformationsvorhaben wie die agile Führung und New Work heben immer wieder die Verlagerung von Verantwortung, das Vertrauen in die Mitarbeiter:innen und offenes, bidirektionales Feedback hervor. Werden all diese Dinge konsequent umgesetzt, so kann sich eine Organisation nach und nach in die Richtung einer Soziokratie beziehungsweise einer Holokratie entwickeln.
Diese Organisationsformen zeichnen sich durch ihre konsequente Selbstorganisation aus. Die Mitglieder einer Organisation entwickeln Mitverantwortung für ihr Unternehmen. Eine kollektive Intelligenz entsteht, die ungeahntes kreatives Potential zur Lösungsfindung bereithalten kann.
Dynamische Lenkung und Steuerung ersetzen so den bisherigen Ansatz in der strategischen Planung. Das Individuum könnte im Rahmen der Selbstverwirklichung in ein kollektives „Wir“ aufgehen, und hierarchische Positionen weichen einem neuen Rollenverständnis. Was wie eine Zukunftsvision klingt, ist schon in einigen Pionierunternehmen gelebte Praxis und zeigt, wie sich der angstbasierte Perfektionismus einer starren Organisationsstruktur zu einer pragmatischen, adaptiven und ja, eben agilen Lösungsfindung wandeln kann.
Self-Check:
- Wo sehe ich den größten Vorteil der Agilität?
- Was ist die „Schattenseite“ der Agilität?
- Wann habe ich Agilität bereits in meinem Leben erfahren?
- Was braucht Agilität, damit sie wachsen kann?
- Was oder wer verdirbt mir Agilität?
- Wie stark setze ich bei meinen Mitarbeiter:innen auf Vertrauen, wie stark auf Kontrolle?
- Wie klar ist mir, warum ich meinen Mitarbeiter:innen (noch) nicht vertrauen kann?
- Wie stark pflege ich eine offene und gegenseitige Feedback-Kultur? Führe ich Feedbacks mehr als einmal jährlich durch?
- Wie reagiere ich auf Neuerungen in meiner Branche?
- Wie nutze ich das Potential meiner Mitarbeiter:innen zur Lösungsfindung, oder gebe ich eher die Reaktion auf eine Problemstellung vor?
- Wie ehrlich toleriere ich Fehler meiner Mitarbeiter:innen und sehe diese als Chance für deren Weiterentwicklung an?
Literaturhinweis:
Frederic Laloux
- Reinventing Organizations visuell: Ein illustrierter Leitfaden sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit, Vahlen Verlag (15. Dezember 2016)
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