Cookie Consent by Free Privacy Policy Generator website Unternehmer:innen müssen lernen, KI zu führen –… – Kirsten Schrick

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Unternehmer:innen müssen lernen, KI zu führen – statt von ihr geführt zu werden

Unternehmer:innen müssen lernen, KI zu führen – statt von ihr geführt zu werden

Der Wis­senschaftler Dr. Daniel Lupp beschäftigt sich inten­siv mit dem unternehmerischen Entschei­dungsver­hal­ten über den Ein­satz von Kün­stlich­er Intelligenz.

In unserem Inter­view erläutert er, wie die Tech­nolo­gie das eigene Entschei­den bee­in­flussen kann, wie sie auf das Bauchge­fühl wirkt, und warum sich vor allem Fir­men­ver­ant­wortliche der Effek­te daraus auf ihr Ver­hal­ten bewusst sein sollten.

Daniel, wom­it genau beschäftigst Du Dich in Deinen Forschungen? 

Kurz gesagt: Wie Unternehmer:innen über den Ein­satz von Kün­stlich­er Intel­li­genz entschei­den – also wie sie die Poten­tiale dieser Tech­nolo­gie erken­nen, bew­erten und in einen konkreten Mehrw­ert für ihre Organ­i­sa­tion über­führen. Im Fokus ste­ht für mich, welche Hand­lungsmöglichkeit­en indi­vidu­elle Entscheidungsträger:innen in den tech­nol­o­gis­chen Eigen­schaften von KI wahrnehmen und wie diese Wahrnehmung der so genan­nten Affor­danzen mit ihrem Entschei­dungsver­hal­ten zusammenhängt.”

Was sind Affordanzen?

Der Begriff beschreibt ganz all­ge­mein, die Beziehun­gen zwis­chen einem Gegen­stand und dessen Nutzer:innen im prak­tis­chen Gebrauch – also zu der ein­fachen Frage: Wie ist ein Gegen­stand aus­gestal­tet und was kann ich damit machen? Bei­de Fra­gen hän­gen zusam­men, denn: 

Wie ich ein Objekt prak­tisch gebrauche, hängt davon ab, welche Möglichkeit­en ich als Nutzer:in darin wahrnehme. 

Ein Smart­phone zum Beispiel kann ich als Kom­mu­nika­tion­s­mit­tel nutzen, um mich mit anderen Men­schen auszu­tauschen und in Verbindung zu set­zen. Andere inter­pretieren in einem Smart­phone aber vielle­icht die Möglichkeit, für sich selb­st Noti­zen zu machen, Fotos zu ver­wal­ten oder Apps zu testen.”

Wie ste­ht das im Zusam­men­hang mit KI und was sind – zusam­menge­fasst – die Erken­nt­nisse Dein­er bish­eri­gen Forschun­gen dazu?

Aus beste­hen­den Unter­suchun­gen wis­sen wir, dass Indi­viduen immer vor dem Hin­ter­grund ihres indi­vidu­ellen men­tal­en Mod­ells darüber entschei­den, wie sie eine Tech­nolo­gie nutzen. Es gibt also eine Ein­schätzung darüber, wie eine gegebene Sit­u­a­tion auf Basis bish­eriger indi­vidu­eller Erfahrun­gen ver­standen und bewältigt wer­den kann. In mein­er Forschung kon­nte ich daran anknüpfen und zeigen, dass sich dieses Phänomen auch im Entschei­dungsver­hal­ten von Unternehmer:innen wiederfind­en lässt. Unternehmer:innen streben danach, KI so einzuset­zen, dass sie ihr intendiertes Entschei­dungsver­hal­ten unter­stützt. Dabei entste­ht ein span­nen­des Wechselspiel: 

Während sie die Tech­nolo­gie for­men, bee­in­flusst die Tech­nolo­gie wiederum gle­ichzeit­ig auch ihr eigenes Entscheidungsverhalten.”

Du sprichst in Deinen Veröf­fentlichun­gen unter anderem davon, dass KI nicht nur ein Werkzeug ist, son­dern selb­st zum Akteur wird. Was genau ist unter dieser These zu ver­ste­hen und was für Schlüsse sind daraus zu ziehen?

KI ist nicht ein­fach nur ein pas­sives Werkzeug, das von Men­schen beliebig für ver­schiedene Auf­gaben einge­set­zt wird. KI wirkt zurück, indem sie selb­st Entschei­dun­gen aktiv mit­gestal­tet. Ich habe mir im Rah­men mein­er Forschun­gen diesen Zusam­men­hang speziell bei unternehmerischen Entscheidungsträger:innen ange­se­hen, die regelmäßig KI nutzen. Dabei zeigt sich eine wech­sel­seit­ige Abhängigkeit: Unsichere Sit­u­a­tio­nen erscheinen für die Per­so­n­en aus diesem Bezugskreis im Zeitablauf zunehmend kalkulier­bar­er – mut­maßlich, weil sie von ihrer KI immer eine Antwort erhal­ten und unab­hängig davon, ob diese Antwort fak­tisch richtig oder falsch ist. Das führt im Ergeb­nis dazu, dass sich Entscheider:innen weniger auf die eigene Intu­ition ver­lassen. Oder sagen wir es so: Sie sind ver­meintlich weniger darauf angewiesen und verän­dern damit – meist unbe­wusst – ihr indi­vidu­elles Entscheidungsverhalten.”

Das heißt: KI erset­zt Intuition?

Nicht von jet­zt auf gle­ich, aber schle­ichend. Das ist das Entscheidende: 

Die Nutzung von KI bee­in­flusst, wie wir Sit­u­a­tio­nen wahrnehmen. Und sobald sich unsere Wahrnehmung ändert, ändert sich auch unser Entscheidungsverhalten. 

Es kann der Ein­druck entste­hen, dass zuvor schw­er ein­schätzbare Sit­u­a­tio­nen mehr und mehr berechen­bar­er erscheinen. So kann Intu­ition zunehmend in den Hin­ter­grund treten.”

Intu­ition kann Men­schen aber auch täuschen oder Unternehmer:innen kön­nen damit auch falsch liegen. Was ist also an diesem Wirkungszusam­men­hang problematisch?

Prob­lema­tisch wird es, wenn Men­schen dem Out­put der Tech­nolo­gie mehr trauen als ihrem eige­nen Urteil und die ver­meintliche Real­ität, auf der Entschei­dun­gen basieren, nicht mehr hin­ter­fra­gen, son­dern als wahr annehmen. Unternehmensver­ant­wortliche laufen somit Gefahr, einen wesentlichen Teil ihrer ökonomis­chen Erfahrung und Urteil­skraft aufzugeben. Doch genau die Fähigkeit mit Unsicher­heit umzuge­hen, kreativ zu denken und mutige Entschei­dun­gen zu tre­f­fen, sind im unternehmerischen All­t­ag unverzicht­bar. Wenn diese Fähigkeit durch das trügerische Gefühl von Sicher­heit erset­zt wird, ver­liert unternehmerisches Han­deln an Qual­ität und Substanz.”

Aber Unternehmer:innen entschei­den doch je nach indi­vidu­eller Per­sön­lichkeit und Erfahrung sehr unter­schiedlich, oder?

In let­zter Kon­se­quenz ist das sicher­lich so. In der Entre­pre­neur­ship-Forschung wird beispiel­sweise in zwei einan­der kom­ple­men­tären Entschei­dungslogiken unterschieden. 

Cau­sa­tion fol­gt dabei der klas­sis­chen Pla­nungslogik: Ich habe ein Ziel, entwick­le einen Plan, analysiere Optio­nen und wäh­le die erfol­gver­sprechend­ste Alter­na­tive, um das Ziel zu erreichen. 

Effec­tu­a­tion dage­gen bedeutet: Ich weiß nicht genau, was auf mich zukommt – also starte ich mit dem, was ich habe. Ich entschei­de iter­a­tiv, nutze Net­zw­erke, denke in Optio­nen statt in Plä­nen. Cau­sa­tion ist ratio­nal, ana­lytisch, zielo­ri­en­tiert – und damit ide­al geeignet für sta­bile Umfelder. Effec­tu­a­tion dage­gen ist kreativ, flex­i­bel und oppor­tunis­tisch – eine gute Basis, um in einem von Unsicher­heit geprägten Umfeld zu agieren. Das Inter­es­sante ist nun: Der Ein­satz von KI kann die Wahrnehmung der Sit­u­a­tion so verän­dern, dass Unternehmer:innen von ein­er effec­tualen zu ein­er causalen Entschei­dungslogik wech­seln. Sie glauben, Kon­trolle zu gewin­nen, obwohl die Unsicher­heit real bleibt. Und genau das kann zu Fehlentschei­dun­gen führen.”

Unternehmer:innen müssen lernen, KI zu führen – statt von ihr geführt zu werden

Zum besseren Ver­ständ­nis: Wie genau läuft das ab?

Stell Dir eine Unternehmerin oder einen Unternehmer vor, der oder die es gewohnt ist, mit Unsicher­heit umzuge­hen – also mit Effec­tu­a­tion. Wenn KI plöt­zlich schein­bar ein­deutige und plau­si­ble Antworten liefert, entste­ht der Ein­druck, die Sit­u­a­tion sei plan­bar­er und kon­trol­lier­bar­er. Ohne es bewusst zu merken, wech­selt die Per­son dann in eine causale Entschei­dungslogik: Sie plant mehr, ver­lässt sich weniger auf die Intu­ition und stärk­er auf die Tech­nolo­gie. Der Punkt ist: Nicht die Sit­u­a­tion selb­st hat sich verän­dert, son­dern nur ihre Wahrnehmung – mit poten­ziell weitre­ichen­den Fol­gen für die Qual­ität der Entscheidung.”

Was kön­nten die Fol­gen daraus sein?

Dazu müssen ver­schiedene Aspek­te beleuchtet wer­den. Erstens ist die Frage, ob die Entschei­dun­gen der KI tat­säch­lich so gut sind, wie es den Anschein hat. Das ist let­ztlich eine the­o­retis­che Frage und lässt sich in der Prax­is kaum nach­prüfen – denn wir kön­nen nicht sich­er beobacht­en, wie sich in ein­er bes­timmten Sit­u­a­tion eine alter­na­tive, rein intu­itive Entschei­dung auswirkt. Grund­sät­zlich zu bezweifeln ist jedoch, dass eine KI dauer­haft bessere Entschei­dun­gen trifft als der Men­sch. Damit hängt der zweite Punkt zusam­men: Mit der stillschweigen­den Ver­schiebung in Rich­tung der Tech­nolo­gie ver­lieren Unternehmer:innen einen Teil ihrer sou­verä­nen Entschei­dungskraft, da sie – unbe­wusst – der Illu­sion erliegen, Tech­nolo­gie könne Unsicher­heit durch Kalkulier­barkeit erset­zen. Das ist angesichts steigen­der unternehmerisch­er Her­aus­forderun­gen nahe­liegen­der­weise ein ver­führerisch­er Gedanke, dem man nur allzu schnell erliegen kann. Das Tück­ische daran: Die Antworten der KI wirken plau­si­bel – auch wenn sie falsch sind. Auf der anderen Seite sind ger­ade in unsicheren Sit­u­a­tio­nen unternehmerische Intu­ition und Erfahrung einzi­gar­tige Schlüs­selkom­pe­ten­zen, die einen dif­feren­zier­baren unternehmerischen Mehrw­ert beschreiben beziehungsweise generieren.”

Gibt es denn so etwas wie eine bessere’ Logik im Umgang mit KI?

Nein.

Die men­schliche Stärke liegt nicht in ein­er fes­ten Logik, son­dern in der Fähigkeit, bewusst zwis­chen Entschei­dungslogiken zu wechseln. 

Wer diesen Wech­sel beherrscht, nutzt KI wirk­lich strate­gisch. Wer das nicht schafft, wird von der Tech­nolo­gie geführt, statt sie zu führen.”

Lieber Daniel, vie­len Dank für das span­nende Inter­view. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.

Unternehmer:innen müssen lernen, KI zu führen – statt von ihr geführt zu werden