Wer in einem Unternehmen Veränderungsprozesse anstößt, den stellt die Natur vor ein kniffliges Problem. Einerseits wissen wir spätestens seit Darwin, dass Entwicklung nur über konstante Anpassung an neue Umgebungen erfolgt. „Adopt or die“ ist in der Tierwelt manchmal durchaus wörtlich zu nehmen. Bei Unternehmen beschränkt sich der Niedergang meist auf sinkende Umsätze und Renditen. Wer nach vorne will, muss verändern
und anpassen.
Doch das menschliche Hirn ist nicht gerade begeistert von Veränderungen. Neuropsychologie und die Bilder aus Computertomografen zeigen, wie sehr wir an gewohnten Dingen hängen. „Muster“ nennen das die Wissenschaftler:innen. Und meinen damit so ziemlich alles Gewohnte – vom Geruch der Mutter über das Design eines Autos und die Buttons einer Website bis hin zu Abstimmungsprozessen in einem Unternehmen. Gewohnt ist vertrauenswürdig. Neu macht Angst. Gewohnt ist gut.
Change-Prozesse im Management müssen diese Ambivalenz zwischen Darwin und gewohnten Mustern berücksichtigen. Orientierung spüren wir in dieser unsicheren Übergangsphase dann, wenn wir den Sinn der Veränderung freilegen. Wenn wir kommunizieren und begreifen, welche Überzeugungen und Werte einem Change zugrunde liegen. Wenn wir erkennen, warum es sich lohnen kann, Unsicherheit und Risiko in Kauf zu nehmen.
Dabei liegt der Sinn nicht allein in spröden Zahlen, Daten, Fakten. Change-Prozesse sind keine Excel-Tabellen. Sie gehen viel tiefer – bis ins limbische System, das unsere Motivationen steuert. Change-Prozesse berühren Bedürfnisse wie Autonomie und Freiheit, Kontrolle und Macht, Sicherheit und Status. Deshalb liegen die Antworten nach dem Warum eines Change-Prozesses vor allem in den Emotionen und Bedürfnissen der betroffenen Menschen.
Wandel braucht Kraft und Sensitivität
Change braucht starke Schultern, die wir in Organisationen immer wieder in der mittleren Führungsebene finden. Das mittlere Management kann mit seiner beharrlichen Kraft die Themen bewegen und hat gleichermaßen alltägliche Nähe zu den Mitarbeiter:innen. Das mittlere Management hält den Change-Prozess aufrecht und setzt ihn operativ um, wenn sich die Unternehmensleitung schon den nächsten Zielen zuwendet. Deshalb muss gerade die Ebene der Teamleiter:innen beteiligt, ernst genommen, mobilisiert und bestärkt werden. Ein weiterer Schlüssel zu erfolgreicher Veränderung ist Fairness. Wir alle sind bereit, auch schwierige Fakten im Leben zu akzeptieren. Allerdings nur, wenn wir den Eindruck haben, dass die Entscheidungsprozesse fair gestaltet waren. Ein respektvoller Umgang mit den Beteiligten und gute gegenseitige Information ist unverzichtbar. Den Mitarbeiter:innen muss eine „Stimme“ gegeben werden. Und Stimme meint nicht unmittelbar Mitbestimmung. Wichtiger ist die Möglichkeit, den eigenen Standpunkt erklären zu können und gehört zu werden.
Change-Prozesse erfordern Fingerspitzengefühl, Empathie und von der Führungsmannschaft auch Disziplin und Stehvermögen. Es braucht vor allem mutige Auftraggeber:innen. Führungskräfte, die Kreativität und Ergebnisoffenheit in den einzelnen Phasen der Veränderung fördern.
All diese Komponenten lassen Vertrauen entstehen. Vertrauen ist der Katalysator für einen lebendigen Veränderungsprozess, durch den sich Organisationen aus der gemütlichen Komfortzone in Richtung einer nächsten spannenden Stufe entwickeln. Vertrauen macht Lust, sich auf neue „Muster“ einzulassen. Vertrauen ist das Bindeglied zwischen Ablehnung und Notwendigkeit. Zwischen Lethargie und Darwin.
Neulich fragte ich meine Kund:innen während eines Seminars, wie ein Change-Prozess schmeckt. „Bittersüß!“, lautete die einstimmige Antwort. Wie Rucola mit Schokolade.
Literaturhinweis:
Professor Axel Koch (Autor), Professorin Myriam Bechtoldt (Nachwort)
- Change mich am Arsch: Wie Unternehmen ihre Mitarbeiter und sich selbst kaputtverändern, Econ, 2. Edition (23. Februar 2018)