Megatrend: New Work
Es ist nicht weniger als die Frage nach dem, was wir mit unserem Tun und unserem Leben angefangen wollen, die hinter der Transformationsidee von „New Work“ steht.
Hinzu kommen die immer volatileren Rahmenbedingungen, die uns ebenfalls eine Notwendigkeit suggerieren, die Art und Weise unserer Arbeitsverrichtung zu überdenken. Was genau verbirgt sich aber hinter dem Konzept von „New Work“? Warum hören wir nun schon so lange von dieser Idee, aber sehen nur einzelne wirkliche Bemühungen zur Umsetzung in den Unternehmen?
Kaum ein Begriff hat die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Status-Quo der Arbeitswelt so sehr geprägt, wie „New Work“. Basierend auf der Frage nach der Freiheit des Menschen brachte der Sozialphilosoph Prof. Frithjof Bergmann in den 1980er Jahren die Idee einer „Neuen Arbeit“ ins Spiel. Er sah die Arbeit als einen der wichtigsten Schlüssel zur Freiheit des Menschen an.
Die traurige Realität ist jedoch, dass bis heute eine erfüllende, sinnstiftende und selbstbestimmte Arbeit Mangelware zu sein scheint. Zu viele Menschen erleben die Arbeit noch immer als eine, wenn nicht die Haupteinschränkung ihrer Freiheit. Warum ist „New Work“ also immer noch so hoch im (Dis)Kurs, aber so selten in der Realität zu finden?
Brauchen wir wirklich eine neue Art, das Leben und die Arbeit zu verbinden?
Schnelllebigkeit, Informationsdichte und die Veränderung an sich sind zum neuen Normativ geworden. Sie durchziehen alle Bereiche unseres Lebens. Wenig überraschend führt dies zu einer immer engeren Verschmelzung von „Leben“ und „Arbeit“, die wir noch allzu oft als getrennte Entitäten zu deuten versuchen.
Die Treiber des strukturellen Wandels sind uns ebenfalls wohlbekannt. Dennoch stellen uns die zunehmende Digitalisierung, Konnektivität und Globalisierung organisatorisch, unternehmerisch und auch menschlich vor große Herausforderungen. Das Narrativ des „New Work“ soll uns also dazu befähigen, Chancen für eine nachhaltige Entwicklung der Unternehmen, aber auch der Individuen nutzen zu können. Doch wie unterscheidet sich „New Work“ von bisherigen Ansätzen? Wird das Rad wieder einmal neu erfunden?
„New Work“ – der Inbegriff des strukturellen Wandels
Die bisherigen Reaktionen in Unternehmen auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen mündeten zu oft in einem neuen Programm oder einem neuen Prozess. Diese Lösungsansätze boten kurzfristige Abhilfe und befassten sich zumeist mit dem inhaltlichen „Wie“ – unserer technischen und organisatorischen Art und Weise, einer geänderten Ausgangslage zu begegnen.
Dieses Vorgehen erwies sich als nicht nachhaltig und so mancher Konzern fand sich nach vielen Jahren der Transformationsvorhaben an derselben Stelle mit starren Hierarchien, zentraler Planung und einer Kultur der lähmenden Fehlervermeidung wieder. Das „New Work“-Konzept geht hier einen wichtigen Schritt über die bisherigen Ansätze hinaus und befasst sich mit dem „Wie“ auch in Bezug auf die persönliche und kulturelle Ebene der Arbeitsverrichtung. Die Veränderungen, die wir unter „New Work“ verstehen, verschmelzen den prozess- und organisationsorientierten Wandel mit der persönlichen Entwicklung aller Beteiligten zu einem neuen Miteinander und einem neuen „mit-der-Arbeit“.
Die Erfassung der persönlichen Dimension im Change-Prozess macht klar, dass „New Work“ keine Reform auf Knopfdruck sein kann. Vielmehr handelt es sich um einen begleiteten Evolutionsprozess, der uns persönlich und in Summe auch als Organisation weiterentwickelt. Einen Schritt weiter gedacht finden wir uns mit einer der Kernfragen unseres Seins konfrontiert:
„Was ist mein Lebenssinn und was will ich wirklich tun?“
Auf der Suche nach dem Sinn
Zurecht fordern die nachkommenden Generationen Y und Z die bisherigen Ansätze der Arbeitsdurchführung heraus. Der Drang nach Befreiung von routinemäßigen Aufgaben unter Ausnutzung aktueller Möglichkeiten der Digitalisierung ebnet den Weg hin zu einer sinnstiftenden Arbeit.
Richten wir unseren Blick auf den „New Work“-Horizont, so sehen wir eine Dichotomie aus Gemeinschaftskreation und einer wirklich selbst gewählten und zutiefst gewünschten Arbeit. Dies sind die Aspekte, die Mitarbeiter:innen dauerhaft an das Unternehmen binden und durch Begeisterung zu motivieren vermögen.
Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung und Selbstversorgung sind die mittelfristigen Ziele des persönlichen und organisatorischen Wandels. Sie sind die „Skills der Zukunft“, die es uns ermöglichen können, erfolgreich im nicht abreißenden Strom der nahtlosen und unmittelbaren Informationsverarbeitung zu bestehen.
Paradigmenwechsel – von repetitiven Mustern hin zur notwendigen Agilität
Agilität heißt das neue Zauberwort. Das Echo dieses neuen Mantras hallt zwischen Management-Präsentationen und Projektmeetings. Die Bewältigung der zunehmenden Komplexität soll damit, wie von Zauberhand heraufbeschworen werden.
„Agilität ist die Gewandtheit, Wendigkeit oder Beweglichkeit von Organisationen und Personen bzw. in Strukturen und Prozessen. Man reagiert flexibel auf unvorhergesehene Ereignisse und neue Anforderungen.
Man ist, etwa in Bezug auf Veränderungen, nicht nur reaktiv, sondern auch proaktiv.“
(Definition gem. Gabler Wirtschaftslexikon)
Wie kann es uns also gelingen aus den uns so vertrauten, altbewährten, reaktiven Mustern auszubrechen und uns mit der Realität des konstanten Wandels anzufreunden? Es braucht Neues! Neue Formen der Zusammenarbeit, ein neues Verständnis für Gemeinschaft und eine wahrhaftige Offenheit innerhalb aller Ebenen eines Unternehmens sind die notwendigen Qualitäten, die „New Work“ zu kultivieren vermag.
Intellektuelle und strukturell bedingte Dominanz soll vom empathischen, multidirektionalen Beziehungsmanagement als Führungsnarrativ abgelöst werden. Spätestens jetzt enthüllt „New Work“ sein wirkliches, tiefgreifendes Veränderungspotential. Eine so fundamentale Transformation braucht neben der vollständigen und glaubhaften Partizipation und Unterstützung aller Führungsebenen auch die passende Methodik.
Ganzheitlicher Ansatz für eine nachhaltige Veränderung
Die fernöstliche Philosophie lehrt uns seit Jahrtausenden, dass das Innere und Äußere der Dinge gemeinsam betrachtet werden sollten. Aus diesem Grund setzt „New Work“ sowohl auf die Umgestaltung der äußeren Rahmenbedingungen als auch auf die Entwicklung persönlicher (innerer) Kompetenzen, um eine nachhaltige Transformation zu ermöglichen.
Virtuelle Räume und „Co-Working Spaces“ sind Beispiele für die äußeren Dimensionen des mit „New Work“ einhergehenden strukturellen Wandels. Er setzt sich in den Organisationsstrukturen fort, die auf Vertrauen, Partizipation und Transparenz hin umgestaltet werden. Es sind diese Qualitäten, die Kreativität in den Mitarbeiter:innen entfalten und fördern können. Das Resultat spiegelt sich zum Beispiel in mehr Raum für Abwechslung, Erholung und selbstbestimmtes Arbeiten wider.
Der Wandel erfasst auch die bisherigen Vorstellungen von starren Arbeitszeiten oder ‑kleidung. All das ebnet den Weg für die Entstehung einer gemeinschaftlichen Atmosphäre, die es den Individuen ermöglicht, auch ihre Persönlichkeit in die Aufgabenbewältigung miteinzubringen und nicht nur „Dienst nach Vorschrift“ zu verrichten.
Eine immer dynamischere Umwelt fordert uns gerade dazu auf, Organisationen neu zu konzipieren. Themenbezogene Einsatzgruppen, temporäre, kompetenzbasierte Zusammenschlüsse relevanter Akteure und Akteurinnen in einem Unternehmen sind die flexiblen Strukturen von morgen. Dieser Wandel fordert ein neues Führungsverständnis ein und verlangt die Ausprägung bisher vernachlässigter Führungskompetenzen. Die hierarchische Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung muss einem bidirektionalem Feedback-basierten Dialog auf Augenhöhe weichen. Um Mitarbeiter:innen bei ihrer Selbstverwirklichung zu unterstützen, muss sich die Führungskraft in eine empathische Coaching-Mentalität hineinentwickeln.
“New Work needs Inner Work”
Wo Strukturen im Außen abgebaut werden, bedarf es des Aufbaus dieser im Inneren. Um diesen Wandel vollziehen zu können, müssen unter anderem auch Kompetenzen delegiert werden. Mitarbeiter:innen sollen dazu befähigt werden, sich einzubringen und entfalten zu können. Eine so bedeutende Umstellung kann nicht per Knopfdruck geschehen, sondern setzt die entsprechende Bereitschaft aller involvierten Parteien voraus.
Selbstführung, Inklusion und Transparenz rücken somit auf die Spitze der Tagesordnung eines „New Work“-Personalentwicklungsplans. Achtsamkeit, Empathie und das Vertrauen ins Selbst sind die inneren Dimensionen der ganzheitlichen Entwicklung. Während die Führungskraft sich vom Mikromanagement und „totalitärer“ Kontrolle verabschieden muss, bereitet sich der/die Mitarbeiter:in darauf vor, mit mehr Spiel- und Gestaltungsspielraum umgehen zu können. Diese erweiterte Verantwortung stellt das Fundament für die Selbstverwirklichung am Arbeitsplatz dar und geht aber auch mit Ängsten und einer natürlicher Abwehrhaltung dem Wandel gegenüber einher.
Ein solider Wandel hin zu einem wirklich neuen Verständnis der Arbeit berücksichtigt die damit verbundenen Herausforderungen und investiert ebenso in die Veränderung der organisationalen Rahmenbedingungen. Zudem involviert sie den Menschen und gibt ihm den Raum für die entsprechende Entwicklung der inneren Strukturen.
Ein Marathon und kein Sprint
Die Suche nach einer schnellen und effizienten Lösung ist fast schon zum ersten Leitsatz des heutigen Unternehmertums avanciert. Wer sich, seine Mitarbeiter:innen und damit auch sein Unternehmen jedoch nachhaltig zukunftsorientiert aufstellen will, muss mehr als nur diesen einen „Quick-fix“-Schritt im Blick haben. „New Work“ kann im Rahmen eines zumindest mittelfristigen Prozesses nach und nach in einem Unternehmen kultiviert werden.
Dass dieses Unterfangen lohnend ist, zeigen bereits einige Pioniere unter den großen und kleinen Organisationen, die sich auf diese Reise hin zu einer erfüllenden und sinnstiftenden Arbeit gemacht haben. Während sie äußerlich die Rahmenbedingungen adaptierten, arbeiteten sie vermehrt mit den Mitarbeitern und Führungskräften an einem neuen Rollenverständnis, einer Feedbackkultur, Inklusion und Transparenz. Die Umgestaltung der Arbeitswelt soll uns schließlich nichts geringeres als Erfüllung und Freude bringen, während sie die alten Grenzen zwischen Arbeit und Leben verschwimmen lässt.
Sinnvoller, menschlicher und fröhlicher soll die Arbeit von morgen sein. Wir haben heute die Möglichkeit dazu, die Weichen zu stellen und uns mit ganzheitlichen Ansätzen wie „New Work“ die Zukunft zu erschaffen, in der wir sinnvoll leben und arbeiten wollen.
Selfcheck:
- Was ist mein Lebenssinn? Was will ich wirklich tun?
- Fühle ich mich in meiner aktuellen Arbeitssituation frei?
- Wie wichtig sind mir Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung in meinem Alltag?
- Welche Aspekte meines täglichen Handelns bringen mir mehr Erfüllung, welche weniger?
- Was kann ich daraus für mich und insbesondere für mein Team/Unternehmen ableiten?
- Was wäre ein erster Schritt in Richtung „New Work“, den ich unmittelbar in meinem Verantwortungsgebiet umsetzen kann?
- Welche Auswirkungen erhoffe ich mir von „New Work“ in meinem Verantwortungsgebiet?
Literaturhinweis:
Joana Breidenbach und Bettina Rollow: New Work needs Inner Work: Ein Handbuch für Unternehmen auf dem Weg zur Selbstorganisation, Vahlen Verlag, 2. Edition (16. September 2019)