Wer sich selbst kennt, kann KI gestalten – Tool, Counterpart oder Medium
Der Wissenschaftler Dr. Daniel Lupp spricht im zweiten Teil unseres Interviews darüber, wie Unternehmer:innen zu einem souveränen Umgang mit Künstlicher Intelligenz kommen.
Daniel, in Deinen Untersuchungen unterscheidest Du zwischen drei Blickwinkeln auf KI: Tool, Counterpart oder Medium. Was folgt daraus konkret?
“Aus meiner Sicht greift die Frage ‘Wie nutzen wir KI?’ zu kurz. Viel entscheidender ist, was wir über KI denken – also unser mentales Modell. Diese Vorstellung beeinflusst maßgeblich, wie wir mit der Technologie umgehen und sie einsetzen.”
Ich starte mal in Deinen Dreiklang: Tool – das ist ein klassischer Begriff in der Softwareentwicklung, oder?
“Genau! Wenn KI als Tool verstanden wird, steht der funktionale Einsatz im Vordergrund und Anwender:innen denken in Aufgaben und Lösungen. Die Technologie wird funktional eingesetzt, zum Beispiel zur Datenanalyse oder Prozessautomatisierung. Entscheidend ist hier das Ergebnis, nicht der Weg dorthin. Diese Perspektive ist typisch für Causation-orientierte Entscheider:innen. Unternehmer:innen, die KI auf diese Weise verwenden, schätzen Verlässlichkeit, Kontrolle und Effizienz.”
Und wann ist KI Counterpart?
“Diese Perspektive ist dialogischer.
Hier wird KI als Sparringspartner gesehen – ein System, mit dem ich Ideen entwickle, Perspektiven teste, kreativ werde. Es geht nicht um Kontrolle, sondern um gemeinsame Creation im Zusammenspiel.
Unternehmer:innen mit Effectuation-Logik nutzen KI auf diese Weise, um ihre Intuition zu erweitern. Wohlgemerkt: nicht zu ersetzen.”
Kommen wir zu KI als Medium. Das klingt spannend. Was verstehst Du darunter?
“KI als Medium reicht sicherlich am tiefsten. Wer die Technologie auf diese Weise versteht, erkennt: Ich lerne nicht nur mit der KI, sondern damit indirekt auch durch andere. Denn generative Systeme, wie ChatGPT sind nicht inhaltslos, sondern geprägt von vorherigen Nutzerinteraktionen. Wenn ich mit KI arbeite, fließen auch das Wissen, die Sprache und die Muster anderer Menschen darin mit ein – bewusst oder unbewusst. Das macht sie zu einem Vermittler kollektiver Erfahrung.”
Das heißt, ich lerne über die KI – auch wenn ich gar nicht weiß, von wem?
“Genau. Das ist die große Chance – und gleichzeitig das große Risiko. In der Kunst zum Beispiel kann das inspirierend sein. In der Medizin oder im Management kann das dagegen ethisch problematisch werden – und zwar dann, wenn nicht klar ist, auf welcher Wissensgrundlage Entscheidungen getroffen werden.”
Was folgt daraus für die Praxis?
“Jede und jeder, der/die KI nutzt – ob als Unternehmer:in, Berater:in oder Teamleiter:in – sollte sich drei Fragen stellen. Erstens: Wie blicke ich auf KI? Ist sie für mich Tool, Counterpart oder Medium? Zweitens: Wie beeinflusst die Betrachtung meine Entscheidungen – bewusst und gegebenenfalls auch unbewusst? Und schließlich: Welcher Blickwinkel ist in einer konkreten Entscheidungssituation am sinnvollsten?”
Das heißt: Du führst kein Plädoyer für oder gegen KI – sondern für einen bewussten Umgang mit ihr?
“Richtig!
Wer KI nutzt, ohne sich selbst zu reflektieren, wird von ihr geführt. Wer sich selbst kennt, kann sie gestalten.”
Was ist aus diesem Zusammenhang heraus für Dich die größte Gefahr im aktuellen KI-Hype?
“Die Fähigkeit der KI, komplexe Informationen schnell und scheinbar ohne großen Aufwand zur Verfügung zu stellen, führt dazu, dass die Technologie häufig als Tool betrachtet und primär zur Effizienzsteigerung eingesetzt wird, ohne diese Perspektive zu hinterfragen. Das Hinterfragen sollte jedoch in zweierlei Hinsicht erfolgen: Selbstverständlich, ob der erhaltene Output verlässlich ist. Vor allem aber in Bezug darauf, ob diese Art des KI-Einsatzes auch zu den Rahmenbedingungen der jeweiligen Einsatzsituation und Intention passen.”
Was ist dann die größte Chance von KI für Unternehmer:innen?
“Die Herausforderungen bei der Nutzung von KI sind gleichzeitig mit Chancen für Unternehmer:innen verbunden. Für sie ist es entscheidend, KI in ihrer gesamten Bandbreite zu nutzen: Als Tool für klar kalkulierbare Aufgaben, als Counterpart für iterative Inspiration und als Medium, bei dem es entscheidend ist, das verdeckte Mitwirken anderer Akteur:innen hinter der Technologie zu berücksichtigen und zielführend zu nutzen. Das Bewusstsein über diese Bandbreite und auch die Fähigkeit diese Perspektiven auf KI einzunehmen, erfordert Übung und Erfahrung – ermöglicht jedoch ein besseres Zusammenspiel von KI-Nutzung und unternehmerischer Intuition.”
Wenn Du unternehmerischen Entscheider:innen eine Leitfrage mitgeben dürftest, welche wäre das?
“Welche Intention verfolge ich mit der Nutzung von KI und passt diese zu meiner aktuellen Interpretation und Anwendung? Für Unternehmer:innen gibt es nicht die eine richtige Art, KI zu nutzen.
Unternehmerischer Erfolg zeigt sich dann, wenn in Abhängigkeit der Situation zwischen verschiedenen Perspektiven gewechselt werden kann
und dieser Wechsel bewusst vollzogen wird. Nur so lassen sich die Potentiale von intelligenten Technologien, wie KI, mit dem eigenen unternehmerischen und intuitiven Entscheidungsverhalten vereinbaren.”
Was hat sich in Deinem eigenen Entscheidungsverhalten durch Deine Forschung verändert?
“Ich selbst bin kritischer im Umgang mit KI geworden. Gleichzeitig ermöglicht mir genau diese kritische Haltung, meine Interaktion mit der Technologie bewusster und zielgerichteter zu steuern. Gerade bei Tools wie ChatGPT ist es entscheidend, wie wir diese durch unser Prompt-Verhalten anleiten – idealerweise so, dass sie unser intuitives Entscheidungsverhalten ergänzen, statt es unbewusst zu untergraben.”
Lieber Daniel, ein herzliches Dankeschön für diese großartigen Einblicke.