
Nähe, Distanz – und die Ambivalenz dazwischen
Die Frage nach der Nachfolge in Familienunternehmen ist eine der heikelsten überhaupt.
Nach einer Schätzung des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn stehen allein in der Zeit zwischen 2022 und 2026 etwa 190.000 Familienunternehmen zur Übergabe an, weil die Eigentümer:innen – meist aus Altersgründen – aus der Geschäftsführung ausscheiden. Die Frage ist: Wie gelingt dieser (Generationen)Wechsel?
- Auf der einen Seite wachsen Kinder von Unternehmer:innen oft von klein auf im Umfeld des Unternehmens heran. Die Firma ist präsent – sie ist Gesprächsthema, Verantwortung, Zukunftsversprechen. Sie sitzt, wie es so schön heißt, immer mit dabei.
- Auf der anderen Seite braucht Nachfolge auch Freiheit. Freiheit, nein zu sagen. Freiheit, sich selbst zu entdecken. Freiheit, Erfahrungen außerhalb des Unternehmens zu sammeln – und eigene Wege zu gehen.
- Genau darin liegt ein Paradox: Die beste Nachfolge ist die, bei der es nicht nötig ist, dass jemand übernimmt – sondern die, bei der die Protagonisten frei wählen und entscheiden.
Ein kluger Familienunternehmer hat mir einmal gesagt: „In einem Familienbetrieb kommt zuerst das Unternehmen. Dann die Familie. Und erst dann du selbst.“ Das hört sich hart an – aber es ist ehrlich. Denn wer Verantwortung übernimmt, muss sich bewähren. Die bloße Tatsache, zur Familie zu gehören, ist noch keine Qualifikation.
Erst wer sich auch außerhalb des eigenen Öko-Systems „Familienbetrieb“ bewiesen hat, kann beurteilen, ob er oder sie bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Und wird dann auch ernst genommen. Von der Belegschaft. Von der Familie. Und – ganz wichtig – von sich selbst.
Nachfolge ist ein Change-Prozess
Ich selbst habe gerade bei dem Thema Nachfolge bei Familienunternehmen viele Erfahrungen sammeln können. Mit meiner Expertise, über 20 Jahre als Beraterin, Trainerin und Coachin, habe ich regelmäßig die kulturelle Transformation von Organisationen im Rahmen von Change-Prozessen begleitet. Und Nachfolge ist bei genauer Betrachtung nichts anderes als ein Change-Prozess. Als neutrale Person von außen habe ich den unverstellten Blick für die Dynamiken, die gerade bei dem Thema Nachfolge in Familienunternehmen wirken. Ein Unternehmen, das ich vor einiger Zeit begleitet habe, hat mir besonders eindrücklich gezeigt, was Nachfolge in Familienunternehmen wirklich bedeutet.
Wenn Altes im Weg steht
Manchmal zum Beispiel können sich Familien, bei denen Geschäftsführung und Gesellschaftereigenschaft zusammenfallen, nicht einigen, wie und auf wen die Übergabe erfolgen soll – nicht, weil sie das Unternehmen nicht lieben. Sondern, weil etwas Altes im Weg steht. Je komplexer die Familienstruktur, desto mehr braucht es dafür Räume, Rituale – und manchmal eben auch Mediation.
In meiner Begleitung entsprechender Unternehmen gehe ich daher bewusst auf die Klärung dieser Dynamiken und Biografie ein. Ich helfe den Stakeholdern damit, die Wirkungen zu verstehen. Damit wird die Basis geschaffen, um einen Prozess in Gang zu setzen, bei dem die Familie frei und selbstbewusst entscheiden kann, welchen Weg sie gemeinsam gehen möchten.