
Familienunternehmen – die unterschätzte Kraft
Wer hält eigentlich in Deutschland die Wirtschaft am Laufen? Klar, es sind auf der einen Seite die rund 46 Millionen Beschäftigten, die jeden Tag zur Arbeit gehen.
Aber auf der anderen Seite sind es auch die Unternehmen als Arbeitgeber. Da fallen dann die Namen der großen Konzerne, wie Siemens, Daimler & Deutsche Bank, die häufig die Schlagzeilen der Wirtschaftsnachrichten bestimmen. Aber zur Wahrheit gehört auch: Auf diese Riesen entfällt nur ein Bruchteil der Wirtschaftsleistung hierzulande. Den Löwenanteil macht der Mittelstand, der wiederum zu einem erheblichen Teil aus Familienunternehmen besteht. Diese Gruppe ist eine bedeutende Kraft, wenn nicht gar die stärkste Kraft in der deutschen Volkswirtschaft.
Der Mittelstand als Rückgrat
Ich finde: Wir reden viel zu oft über die großen, bekannten DAX-Konzerne und viel zu wenig über den Mittelstand. Dabei sind es gerade die fast drei Millionen Familienunternehmen in Deutschland, die das verlässliche Rückgrat unserer Volkswirtschaft bilden. Diese Gruppe steht für 90 Prozent aller Unternehmen insgesamt in Deutschland. Rund 60 Prozent aller Beschäftigten sind in Familienunternehmen tätig. Diese Firmen und ihre Eigentümer sind bekannt in ihrer jeweiligen Region und fest darin verwurzelt. Keine anonymen Shareholder, sondern Menschen, die in ihrer Stadt häufig als Förderer:innen und Mäz:innen auftreten und sich in Vereinen und anderen Organisationen sozial engagieren
Langfristigkeit statt Quartalsdenken
Was Familienunternehmen von Konzernen unterscheidet, ist vor allem eins: Das Familienmanagement dieser Unternehmen denkt in Generationen. Es investieret langfristig in Projekte und Beziehungen und denkt nicht in Quartalszahlen. Die strategische Führung ist geprägt von Kontinuität – und gleichzeitig müssen Familienunternehmen extrem wandlungsbereit sein. Dieser Spagat zwischen Stabilität und Erneuerung, Nähe und Distanz, familiärer Loyalität und betrieblicher Professionalität macht sie besonders. Das wird im Alltag und in den Diskussionen über Wirtschaft und Transformation viel zu selten wahrgenommen.
Führung zwischen Wirtschaft und Beziehung
Die Gruppe der Familienunternehmen bewegt sich jeweils in einem besonderen Kosmos. Ich kann das beurteilen, denn ich habe in den vergangenen Jahren immer häufiger mit diesen Unternehmen zusammengearbeitet. Und je länger ich das tue, desto mehr wächst mein Respekt vor den Akteuren in diesen Organisationen. Was hier passiert, ist nicht nur unternehmerisch spannend – es ist auch zwischenmenschlich absolut bemerkenswert. Aus den Einblicken, die ich in meiner Arbeit gesammelt habe, kann ich sagen: Die Führung in Familienunternehmen ist einzigartig.
Kraft und Komplexität im Doppelpack
Viele Familienunternehmen sind Innovationstreiber und/oder Hidden Champions. Doch diese Erfolge müssen erarbeitet und jeden Tag verteidigt werden im harten Wettbewerb. Für die Familien selbst ist das eine Herausforderung. Denn Führung in Familienunternehmen ist immer doppelte Managementarbeit.
- In Familienunternehmen liegen Kraft und Komplexität oft nah beieinander. Die enge Bindung – an Menschen, an Geschichte, an ein Lebenswerk – schafft Vertrauen, Loyalität und Sinn.
- Aber genau diese Nähe ist auch eine Herausforderung. Denn wer alles gemeinsam erlebt hat, muss auch lernen zu differenzieren: Familie und Firma. Gefühl und Geschäftsmodell. Nähe und Klarheit.
- Das Management von Familienunternehmen bedeutet immer, zwei Systeme zugleich gestalten zu müssen. Die Familie managen – mit all ihren Beziehungen, Erwartungen, Prägungen. Und das Unternehmen führen – mit Fokus, Strategie, Verantwortung und wirtschaftlichem Erfolg.
- Die Kunst liegt darin, beide Welten so weit voneinander zu trennen, dass sie sich in ihren Funktionen nicht behindern – und sie zugleich so eng verbunden zu lassen, dass sie sich gegenseitig bereichern.
Kultur als Erfolgsfaktor
Denn natürlich beeinflusst die Familienkultur das Unternehmen: Werte, Haltung, Identität – sie werden spürbar, sie schaffen Bindung. Mitarbeitende arbeiten nicht nur für eine Marke – sie arbeiten oft für die Unternehmerfamilie, für eine Geschichte, für eine Haltung. Gerade deshalb wirken Familienunternehmen häufig langfristiger als andere. Kontinuität und Wandlungsfähigkeit – auch das ist eine Ambivalenz, die Familienunternehmen meistern:
- Sie halten an Prinzipien und Identität fest – über Jahrzehnte, manchmal über Jahrhunderte.
- Und entwickeln gleichzeitig eine enorme Lernfähigkeit und Anpassungsbereitschaft. Sonst wären sie als Gruppe heute nicht so dominant in der deutschen Wirtschaft.
Vertrauen als strategisches Kapital
Was dabei hilft? Vertrauen, als strategisches Beziehungskapital. Es entsteht nicht durch Titel oder Position – sondern durch Haltung, über lange Zeit.
Ich erlebe immer wieder: In Unternehmen mit starker familiärer Prägung gibt es eine andere Art der Loyalität. Mitarbeitende bleiben – auch in schwierigen Zeiten. Weil da etwas trägt, das jenseits des Vertrags liegt: echte Bindung, echtes Zutrauen.
Und genau darin liegt etwas Besonderes. Familienunternehmen gestalten Zukunft, indem sie auf Beziehungsqualität setzen. Und das ist in einer Zeit von Unsicherheit, Wandel und Vertrauenskrisen vielleicht ihre größte Stärke.
Zwei Systeme eine Realität
Doch was macht ein Unternehmen eigentlich zu einem Familienunternehmen? Prof. Dr. Rudolf Wimmer hat es 1996 so formuliert: „Ein Unternehmen ist ein Familienunternehmen, wenn eine Familie maßgeblichen Einfluss auf die Politik des Unternehmens hat.“ Hinter diesem nüchternen Satz verbergen sich zwei soziale Systeme, die sich permanent begegnen: die Familie und das Unternehmen.
- Das sind zwei Logiken. Zwei Rhythmen. Zwei Loyalitäten.
- Wer Verantwortung übernimmt, lebt in beiden Welten – und trägt mehrere Hüte gleichzeitig.
- Du bist Tochter oder Sohn, Mutter oder Vater.
- Gleichzeitig Führungskraft oder Gesellschafter:in – und in dieser Rolle manchmal auch Schwester oder Kolleg:in.